Neustadt am Main - Gestern und Heute
 
    
Bericht von Pfarrer Riedmann
Heimatland Februar 1953
  Pfarrer Georg Link: Bartstreit Teil 2 

Erstellt am 26.08.2005

 

 

Bericht über Pfarrer Link im Heimatland 12. Jahrgang (Februar / Hornung 1953) Nr. 2.

Geschrieben von Josef Riedmann, Pfarrer i. R.

 

Erinnerungen aus dem Leben des seligen Pfarrers Georg Burkhard Link in Neustadt am Main (1848 – 1901)

In der Beilage der „Lohrer Zeitung“, „Heimatland“ Nr. 8 (1952) erschien ein Artikel mit der Ueberschrift „Tragikkomischer Streit um des Pfarrers Bart“. Darin erzählt Pfarrer Barthels von Steinfeld an der Hand alter Akten und Urkunden aus dem Dekanatsarchiv von Lohr eine interessante Geschichte aus dem Leben des ehemaligen Pfarrers Link von Neustadt am Main. Es handelt sich in dieser Erzählung tatsächlich um einen fast lächerlich scheinenden Streit, den Pfarrer Link mit seiner kirchlich vorgesetzten Behörde mit höchster Hartnäckigkeit ausgefochten hat. Gegenstand des heftigen Streites war der Bart, den Pfarrer Link entgegen der kirchlichen Vorschrift trag und dessen Entfernung das Bischöfliche Ordinariat verlangte.

 

Dieser eigenartige Kampf und viele andere ähnliche Episoden und Ereignisse aus dem langen Leben und Wirken dieses Pfarrers tauchen immer wieder einmal auf in der Erinnerung und werden gerne erzählt und angehört. Es ist ganz natürlich, dass nach so langer Zeit gar manches, das der Volksmund erzählt, nicht mehr mit den Tatsachen übereinstimmt oder wenigstens falsch oder übertrieben und missverstanden dargestellt wird.

 

Das fühlte wohl auch Pfarrer Barthels, als er seinen Artikel schrieb und dabei bemerkte: „Freilich ist nicht alles wahr, was man von ihm (Pfarrer Link) erzählt, die Legende hat sich auch seiner bemächtigt“. Er weist dann auf zwei alte Geistliche hin, die Pfarrer Link noch kannten und wie er meint, besser Bescheid wissen. Von diesen beiden hat der eine, Hr. G.-Rat Hoh, vor einigen Wochen das zeitliche gesegnet. So bleibt nur noch der andere übrig, das ist der Schreiber dieses Artikels. Es ist mir viel daran gelegen, dass Pfarrer Link, der schon nahezu 52 Jahre tot ist, in möglichst wahrheitsgetreuem Gesicht erscheint, wenn in der gegenwärtigen Zeit von ihm erzählt wird.

 

Wer so manche Geschichte oder Episode aus dem Leben dieses seltsamen Mannes anhört, ohne weitere Aufklärung, wird vielleicht den Kopf schütteln und ihn für einen sonderbaren Kauz oder hartnäckigen Querkopf halten. Wer aber diesen Mann oder sein wahres Lebensbild im Goldrahmen seines lauteren Charakters, seiner idealen Gesinnung und seiner tief religiösen Weltanschauung kennen lernt, wird sein Urteil revidieren und mit Hochachtung zu ihm aufschauen. Zudem war er ein tiefer Denker und ohne Zweifel ein geistig hoch stehender Mann; hat er doch das bekannte Klosterbuch der Diözese Würzburg verfasst, das früher in keiner Pfarrbibliothek fehlte und hoch bewertet wurde.

 

Ich war der letzte Kaplan des Pfarrers Link vom Frühjahr 1899 bis zum 23. März 1901. An diesem Tag schloss der 86jährige alte Herr sein Auge für diese Welt. In diesen zwei Jahren, im täglichen Umgang, hatte ich Gelegenheit genug, ihn in seiner Eigenart und in seinem Charakter genau kennen zu lernen. Ich schaue heute noch mit Hochschätzung auf ihn, den ich noch lebendig vor meinem Geiste sehe. Eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften war seine scharf ausgeprägte Gerechtigkeitsliebe, sein furchtloses Eintreten für den kleinen Mann, für die Armen in seiner Gemeinde, wenn er sie von oben her bedrückt oder schlecht behandelt sah. Kein Wunder, dass er in seiner langjährigen Tätigkeit in der damals so armen Spessartgemeinde in manche Kämpfe und Prozesse verwickelt wurde, die ihm Feinde und Gegner brachten.

 

Es ist mir natürlich auch die von Barthels erzählte Bartgeschichte bekannt, nicht als ob ich sie selbst miterlebt hätte, nein, die Zeit, da diese sonderbare Streitsache ausgetragen wurde, lag nahezu 40 Jahre vor meiner Neustädter Kaplanszeit und war zu meiner Zeit beim Volke schon vergessen. Da es sich ja um eine ganz persönliche Angelegenheit des Pfarrers handelte, ist es fraglich, ob überhaupt jemand in der Gemeinde etwas davon erfahren hat. Ich habe meine Kenntnis aus einigen Aufschreibungen, die von diesem Streitfall berichteten und damals, d.h. zu meiner Kaplanszeit, noch im Aktenschrank lagen. Aber das meiste in dieser und anderen Sachen erfuhr ich aus dem Munde früherer Kapläne, von denen noch mehrere lebten. Und da muss ich besonders erwähnen den seligen G.-Rat Konrad, der 30 bis 40 Jahre vor mir 6 Jahre Kaplan bei Pfarrer Link war und dessen Vertrauen in hohem Maße besaß. Er nahm auch teil an der fingierten Beerdigung des Pfarrers Link im Jahre 1873, als er sein 25jähriges Pfarrjubiläum (nicht Priesterjubiläum) in der bekannten originellen Aufmachung feierte. G.-Rat Konrad verbrachte seinen Lebensabend in seinem Geburtsort Sendelbach, wo er auch starb.

 

Ich will nun versuchen, den sog. „Bartstreit“ des Pfarrers Link aus meiner Erinnerung in Berücksichtigung seiner persönlichen Eigenart und idealen Auffassung zu beschreiben und ins rechte Licht zu stellen.

 

Die Wiege des Pfarrers Link stand in Eichenbühl bei Miltenberg, wo er am 9. Juli 1815 das Licht der Welt erblickte. Am 9. November 1840 wurde er zum Priester geweiht. Mehrere Jahre war er als Kaplan zu Pflochsbach tätig, von wo er den Wallfahrtsort Maria Buchen betreute. Die Kapuziner waren damals vertreiben und noch nicht zurückgekehrt. Als im Jahre 1848 die Pfarrei Neustadt erledigt wurde, wurde ihm dieselbe verliehen. Seinen Einzug in den ihm anvertrauten „Weinberg des Herrn“ hielt Pfarrer Link im Wonnemonat des sturmbewegten Jahres 1848. Eine schöne poesievoll abgefasste Beschreibung seines Einzuges, von seiner Hand geschrieben, lag früher im Aktenschrank. In dieser Niederschrift stand u. a. folgendes, dessen ich mich erinnere:

„ Ein mit Frühlingsblumen und frischen Maiengrün geschmücktes Schifflein trug mich auf den sanften Wellen des Mains flussabwärts und landete am Ufer meines neuen Arbeitsfeldes, Die versammelte Pfarrgemeinde begrüßte dort ihren kommenden Seelenhirten in der üblichen Weise und geleitete ihn feierlich in den festlich geschmückten Raum der alten Abteikirche. Dieses uralte Gotteshaus atmete noch den Geisteshauch der mehr als tausendjährigen Geschichte der einst so fruchtbaren Pflanzstätte des Christentums. Dieser Geist erfüllte damals mein Herz und hielt es gefangen mit eisernen Klammern“.

 

Wie die Zukunft zeigte, waren das nicht leere Worte. Pfarrer Link betrachtete es stets als seine von Gott gewollte Lebensaufgabe, den ehemaligen Missionsgeist und Mönchsgedanken der alterwürdigen Benediktinerabtei wach zu halten und Fortzutragen in die Zukunft. Es war seine festgefaßte Idee bis in seine ältesten Tage, dass die Zeit kommen müsste, in der die alte Abtei wieder Auferstehung feiern und die Mönche wieder Einzug halten würden in die alten Klosternmauern, die zur Zeit Links noch standen. Wie viele Andachten und Wallgänge er für die Wiedererstehung des aufgehobenen Klosters hielt, steht in einem anderen Buche geschrieben.

 

Den hl. Burkhard, den ersten Bischof von Würzburg, hielt Pfarrer Link für den eigentlichen Gründer der Abtei Neustadt. Er stürzte sich dabei auf die ältesten schriftlichen Urkunden, die vorliegen und die uns berichten, dass Burkhardus und seine Gefährten, bevor sie ihr Missionswerk in Würzburg begannen, sich wegen kriegerischer Streitigkeiten dortselbst zuerst in den Spessart in das so genannte Reiffenthal (heute Einsiedel) zurückzogen. Bald darauf zogen sie über den Berg an den Main und bewohnten das karolingische Jagdschloss Rohrlach, das ihnen die Karolinger zur Verfügung stellten. Aus dieser Niederlassung entstand die Abtei Neustadt. Das Jahr der Gründung lässt sich nicht mehr feststellen.

 

Pfarrer Link, der sich als Nachfolger des hl. Burkard in Neustadt fühlte, hatte deshalb eine überaus große Verehrung zu seinem Gründer der Abtei. Sein Bestreben war es, sein Leben und sein Handeln dem des hl. Burkard gleichförmig zu machen. Er legte sich darum den Namen des hl. Burkard bei und hieß von da an Georg Burkard Link. Seine Kleidung trug er nach Art der Mönche arm und einfach. Den hl. Burkard wollte er als Kirchenpatron einsetzen und das Fest des hl. Michael aufheben, was aber von der Bischöflichen Behörde nicht genehmigt wurde. Beim Mittagessen ließ er täglich aus der Regel des hl. Benedikt, die er im alten Klosterarchiv gefunden hatte, durch den Kaplan ein Kapitel vorlesen. Wie schon bemerkt, hielt er viele Wallfahrten zur Wiedererrichtung des Klosters nach Maria Buchen oder zur St. Michaelskirche bei Neustadt. Er soll früher, wie alte Leute erzählten, oftmals die Prozession in Bußgewand und barfuß begleitet haben.

 

Jetzt fehlte nur noch eines, um den großen Vorbildern und alten Ordensmännern auch äußerlich möglichst ähnlich zu erscheinen. Wer wird es nicht erraten? Es fehlte nur noch der Bart.

 

Ich sehe den ernsten Mann im Geiste vor mir, wie er sich gab, den tiefen Denker und Grübler, wie er seine Gedanken und Ansichten hervorwälzte, plötzlich stehen blieb und vor sich hinbrummte: Hm! Warum sollte ich nicht den Bart wachsen lassen? Haben nicht auch der hl. Burkard und seine Gefährten Bärte getragen? Warum hat Gott, der Schöpfer der Menschen in seiner Allweisheit es gewollt, dass dem Mann der Bart wächst? Wer würde nicht darüber lachen, wenn man den hl. Joseph, die Apostel Petrus und Paulus, die Mönche und Einsiedler, den hl. Bonifatius und den hl. Burkard mit glatt rasierten Gesichtern im Bilde darstellen wollte? War der Bart diesen heiligen Männern in ihrem gesegneten Wirken und Arbeiten ein Hindernis? Wo gibt es ein Gebot Gottes oder der Kirche, welches das Barttragen verbietet?

 

Also fasste Pfarrer Link den Entschluss, einen Bart zu tragen. Dieser wuchs bei ihm auf fruchtbarem Boden und bald erfreute sich Pfarrer Link eines stattlichen Vollbartes. Er mag sich in dessen Besitz längere Zeit wohl gefühlt haben, war er doch in dieser neuen Ausstattung seinem hohen Ideal einen großen Schritt näher gekommen. Sein Völklein in Neustadt nahm ohne Murren von der Tatsache des Pfarrerbartes Kenntnis und gewöhnte sich bald an diesen Anblick. Warum auch nicht! Seine Pfarrkinder in Neustadt und Erlach beurteilten ihren Pfarrer nicht nach dem Bart oder dem rasierten Gesicht, sondern nach seiner bekannten Liebe und Mildtätigkeit gegen die Armen. In dieser Hinsicht war er besonders groß. Auch die Nachbarschaft nahm Kenntnis vom Bart des Neustädter Pfarrers und es gab gewiss niemand, der sich deshalb Sorge machte oder aufregte. Pfarrer Link konnte sich also jeden Abend unbesorgt zur Ruhe legen und still träumen vom Frieden der Welt.

 

Und doch gab es einen oder vielleicht auch zwei, deren zartes Gewissen es nicht ertragen konnte, dass ein katholischer Pfarrer mit einem Bart geschmückt auf Gottes Erdboden wandelt und noch dazu das Wort Gottes verkündet. Um das Gewissen zu beruhigen und weiteres Unheil von der Welt abzuwenden, meldete man das ungeheure „Ärgernis“ an hoher kirchlicher Stelle. Und so kam es, dass eines Tages wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein Schreiben vom Bischöflichen Ordinariat an das Pfarramt Neustadt folgenden Inhalts kam:

„Es ist uns mitgeteilt worden, dass Pfarrer Link seit einiger Zeit einen Bart trägt. Es dürfte im wohl bekannt sein, dass es den katholischen Geistlichen verboten ist, ohne besondere Erlaubnis einen Bart zu tragen. Herr Pfarrer Link hat umgehend zu berichten, was ihn zu diesem eigenmächtigen Handeln veranlasst und welche Gründe ihn zum Bartragen bewegen. Wenn nicht ein besonderer Grund vorliegt, hat Herr Pfarrer Link den Bart entfernen zu lassen“.

 

Der Inhalt dieses Schreibens mag ein harter Schlag für Pfarrer Link gewesen sein. Der Bart gehörte nun einmal in sein Lebensprogramm, so war es seine Auffassung, daran hielt er fest und ließ sich durch nichts davon abwendig machen. In seinem Antwortschreiben an das Bischöfliche Ordinariat begründete  Pfarrer Link seinen Standpunkt in der Bartfrage in vielseitigen und weitschweifigen Ausführungen. Seine Argumente entnahm er der Vernunft, der Geschichte, der Philosophie und Theologie, wie man es gewohnt war, wenn man sich in eine längere Unterhaltung mit ihm einließ. Um seine Entgegnung noch wirksamer und schlagender zu machen. Ging er zum Schluss ins praktische Leben und führte ein tragisches Vorkommnis an, das sich irgendwo ereignet hatte. Ein Mann ließ sich rasieren; der Barbier war ungeschickt und verwundete den Mann durch einen kleinen Schnitt; das hatte eine Blutvergiftung zur Folge, an der der Mann sterben musste. Was diesem unglücklichen Mann begegnete, das kann auch ihm und jedem anderen zustoßen. Schon dieser eine Vorfall sei ernst zu nehmen und gebe Anlass nachzudenken, ob es sittlich erlaubt sei, einen Menschen zu verpflichten, sich dem scharfen Messer eines Baders auszusetzen.

 

Diese ausführliche Begründung legte Pfarrer Link der oberhirtlichen Stelle zur Kenntnisnahme und gnädigen Erwägung vor. Er stellte die untertänigste Bitte, die hohe Behörde wolle auf Grund der vorgebrachten Gründe ihm das Bartragen genehmigen. Dann gab er sich der Hoffnung hin, die Herren in Würzburg würden sich beruhigen und eines Pfarrers Bart weiterhin nicht mehr behelligen.

 

Pfarrer Link täuschte sich. Nach ungefähr 10 Tagen wurde ihm durch den Dechanten des Dekanats Rothenfels ein Monitorium vorgelegt, worin das Bischöfliche Ordinariat Pfarrer Link mitteilte, dass die vorgebrachten Gründe nicht als stichhaltig anerkannt werden könnten. Er wird deshalb von neuem aufgefordert, den Bart entfernen zu lassen, weil das Volk daran Anstoß nehme. Herr Dechant wird beauftragt, innerhalb 8 Tagen anher zu berichten, ob der Bischöflichen Anordnung Folge geleistet wurde.

 

Pfarrer Link stand damals, im Winter 1862/63, im 48. Lebensjahr, also in der Vollkraft seines Mannesalters. Er war kein Schilfrohr, das bei jedem Windhauch sich beugt. Er glich vielmehr der knorrigen Spessarteiche, die festgewurzelt in der Erde steht und sich nicht leicht umwerfen lässt. Was er sich in den Kopf gesetzt und für gut und richtig befunden hatte, das setzte er durch mit eiserner Energie. Und so entbrannte der „Kampf um des Pfarrers Bart“.

 

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